Was es bedeutet, weitgehend auf das Autofahren zu verzichten: die Auswirkungen auf Beruf, Familie, Finanzen, Konsum und Lebenseinstellung.
Ich bin 40 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder. Redakteur, ich wohne zur Miete, Arbeitsweg 15 Kilometer.
Vor fünf Jahren war ich unsportlich, beruflich und privat in Schwierigkeiten und damit beschäftigt, mein Leben neu zu starten. Eine Idee war, meinen Alltag zu vereinfachen: Ballast abwerfen. Nur noch besitzen, was ich brauche. Der Zeitpunkt war günstig. Mein geliebter alter Volvo Kombi war reif für die Verschrottung. Ich gab mir zwei Wochen Zeit für den Versuch, ohne Auto klarzukommen. Aus dem Test wurde ein Lebensentwurf.
Ich bin 40 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder. Redakteur, ich wohne zur Miete, Arbeitsweg 15 Kilometer.
Vor fünf Jahren war ich unsportlich, beruflich und privat in Schwierigkeiten und damit beschäftigt, mein Leben neu zu starten. Eine Idee war, meinen Alltag zu vereinfachen: Ballast abwerfen. Nur noch besitzen, was ich brauche. Der Zeitpunkt war günstig. Mein geliebter alter Volvo Kombi war reif für die Verschrottung. Ich gab mir zwei Wochen Zeit für den Versuch, ohne Auto klarzukommen. Aus dem Test wurde ein Lebensentwurf.
Die
ersten Tage waren eine Offenbarung. Zum Bahnhof radeln, 15 Minuten
Regionalzugfahrt, einen knappen Kilometer zu Fuß zum Arbeitsplatz
gehen. Kein Stau, keine Ampeln, keine Anstrengung. Einfach
„sein“. Sich nicht
konzentrieren müssen, den Gedanken freien Lauf lassen können.
Es gab
relativ schnell zwei Felder, die meiner Aufmerksamkeit bedurften: Die
Kollegen und mein altes Fahrrad.
Die
Kollegen
Ich
habe mein Auto Mitte Dezember aufgegeben. Zur Firmen-Weihnachtsfeier
bin ich bereits geradelt. Bei Schneefall. Die Frage nach dem warum
kam sofort. Die Antwort „ich bin jetzt autofrei“ löste
mitleidiges Unverständnis
und Zweifel
an der Machbarkeit aus. Der Chef erzählte von der autofreien
Großfamilie aus seiner Nachbarschaft - und wie er diese „Exoten“
erlebt. Die Kollegin fragte instinktiv, wie ich das mit den Kindern
lösen wolle.
Die
Kinder
Sie
waren noch klein.
Ich kaufte einen Fahrrad-Anhänger. Mein klappriges Damenrad war
teilweise kaputt. Damit war es bald zu gefährlich, die 50 Kilo zu
ziehen (Die Bremsen, bergab…). Ich brauchte ein neues Fahrrad.
Der
Konsum
Gebraucht
kaufen war ich nicht gewohnt. Ich wälzte Kataloge und durchforstete
Internetseiten auf der Suche nach meinem neuen Fahrrad. Weil ich als
Jugendlicher ein Rennrad hatte, wählte ich ein sportliches Modell.
Ein Fehler,
wie sich schnell herausstellte. Ich fand die Sitzposition furchtbar.
Der Zufall kam zur Hilfe. Ich übernahm das alte, aber
funktionstüchtige Damenrad meiner Ex-Frau, die sich ein neues Rad
gekauft hatte.
Das
war der Anfang.
Der
Alltag
Nach
einiger Zeit lief es rund. Die Ausrüstung wurde besser, die Fitness
auch!
Ich
bin fast nie mehr erkältet und habe mehr Geld auf dem Konto. Ich
muss auf nichts verzichten. Wichtig ist für mich, nicht
dogmatisch zu sein. Drei
bis vier mal im Jahr leihe ich mir ein Auto aus.
Meine
Erfahrungen
Nach
ein bis zwei Jahren veränderte sich die Haltung der Kollegen von
Skepsis zu Respekt.
Gleiches gilt für die Sportkameraden im Verein. Sie haben jetzt
erlebt, dass es funktioniert. Über alle Lebenssituationen und
Jahreszeiten hinweg. Bei Freunden und Familie ging es schneller mit
der Akzeptanz. Sie hören länger zu, wenn man sich erklärt. Das
hilft gegen Vorurteile.
Warum
wurde gerade ICH
skeptisch beäugt? Andere Menschen in meinem Umfeld leben ebenfalls
fast autofrei. Aber entweder sind sie jung, sie haben ein Alibi-Auto
oder sie sind insgesamt alternativer. Scheinbar sind mein „harter“
Umstieg und meine Lebensumstände besonders verdächtig.
Durch
den täglichen Umgang mit dem Fahrrad und den vielen Erfahrungen auf
den Straßen wurde ich zum Fahrradaktivisten.
Und zum Bastler, der Spezialfahrräder baut. Freakbikes und
Lastenfahrräder. Transportprobleme kenne ich deshalb nicht.
Meine
Kinder
sind fit und gesund. Kinder sind nicht wettersensibel. Kinder bewegen
sich gerne draußen. Kinder kommen wach in der Schule an, wenn sie
dorthin laufen oder radeln. Kinder sehnen sich nicht nach Autos, wenn
die Eltern es nicht vorleben. Sie fahren inzwischen selbst Fahrrad.
Für besondere Fahrten zu dritt habe ich ein Tandem mit einem dritten
Sitz und Lenker ausgerüstet.
Urlaub
machen wir nicht mehr im mediterranen Süden, sondern in Bayern. Mit
dem Zug und Fahrradmitnahme (wobei einer Busreise nach Kroatien
nichts im Weg steht). Die Kinder lieben die kurze Anreise. Sie hassen
es, lange im Auto zu sitzen. Der See ist Ihnen so lieb wie das Meer,
Hauptsache es gibt Eis und andere Kinder zum Spielen. Für mich ist
die Reisevorbereitung unkomplizierter.
Die
Lebenseinstellung
Alles
hat sich verändert. Am Anfang stand der zweiwöchige Versuch nach
Einfachheit. Heute bin ich überzeugt: vom Blick auf das
Wesentliche im Leben.
Konsum gehört nicht dazu. Das ist der größte äußere Effekt des
Autoverzichts. Denn um ordentlich zu konsumieren, braucht man das
Auto: um an einem Samstagvormittag die Stadtrand-Geschäfte von West
nach Ost abzugrasen.
Die
innere Zufriedenheit
ist ein subjektives Maß. Für mich sind 8 von 10 Punkten erreicht.
Die restlichen zwei suche ich noch. Vielleicht ist ein Thema nicht
lösbar: Ich sehe die gesellschaftliche Verbreitung von Konsum,
automobiler Fortbewegung und wachstumsorientierter Lebensgestaltung.
Und weiß, dass ich noch lange eine Sonderrolle einnehme. Ich wäre
aber gerne Gleicher unter Vielen. Das würde meiner Vorstellung einer
lebenswerten Umgebung
eher entsprechen. Jetzt, wo ich die positiven Aspekte kennen gelernt
habe.
Die
Schattenseiten
So
richtig durchnässt werden. Unter der Windjacke schwitzen wie der
Teufel. Kalte Hände haben. Den dritten Platten in einem Monat
flicken. Ein Auto im Bedarfsfall umständlich ausleihen müssen.
Langsam unterwegs sein. Von Autofahrern angehupt werden. Hinter einem
sichtbar rußenden Dieselbus losfahren müssen. Bergauf strampeln.
Das
ist der Preis,
den man bezahlt.
Der
Gewinn
Die
Unabhängigkeit
vom Auto mit all seinen Zwängen. Die Entschleunigung des Alltags.
Zeit für mich. Kraft und Ausdauer in vielen Lebensangelegenheiten.
Freie Gedanken auch zum Wohl meiner Arbeit. Ein offenes Auge für
meine Umwelt. Und viel mehr Kontakt mit anderen Menschen.
Stefan
P.S.
Ich habe diese Erlebnisse stark komprimiert und geringfügig
fiktionalisiert aufgeschrieben. Sie sind nur ein kleiner Teil meiner
Erfahrungen. Auch heute
noch lerne ich jeden Tag dazu. Ich bin über Tatjana von Radl-Wadl
per E-Mail
erreichbar. Falls ein Leser/eine Leserin dieser Geschichte mehr
darüber wissen möchte.